Impressionen

Von „Bonnaparte“ bis „Bonn amour“:  65 Jahre Ballgeschichte(n)

Vom ersten „Presse- und Funkfest“ im Bundeshaus in Bonn bis zum feierlichen 65. Bundespresseball im Hotel Adlon Kempinski. Ein Rückblick von Sönke Petersen, erschienen im GLANZ Magazin 2016 anlässlich des 65. Bundespresseballs.

Präsidenten-Gattin Elly Heuss-Knapp war es zu laut. „Schluss mit der Musik!“ forderte sie. Doch der erste Mann im Staate, der zugleich der ihre war, vergnügte sich sichtlich weiter, genoss den ersten großen Ball, den die Republik in ihrer jungen provisorischen Hauptstadt feierte. Weil es noch keinen repräsentativen Festsaal in Bonn gab, hatte die neu gegründete Bundespressekonferenz ins Bundeshaus geladen, dorthin also, wo sonst die politischen Redeschlachten ausgetragen wurden.

Das war am 2. Februar 1951 – die Geburtsstunde des Bundespresseballs, auch wenn er damals noch „Presse- und Funkfest“ hieß. Man amüsierte sich bis in den frühen Morgen – auch wegen des Mitternachts-Kabarett aus dem Düsseldorfer Kom(m)ödchen – aber die Örtlichkeit fiel bei den Gästen durch. „Zu nüchtern“, lautete ihr Urteil.

November 2016: Wieder lädt die Bundespressekonferenz ein, was im Staate Rang und Namen hat. Nun schon zum 65. Mal. Und zum zweiten Mal an einen gleichermaßen glanzvollen wie historischen Ort: Ins Berliner „Adlon“ am Pariser Platz, dort wo deutsche Geschichte vom Logenplatz aus zu verfolgen ist. Und wieder wird ein Bundespräsident das Tanzbein schwingen, diesmal heißt er Joachim Gauck. Und wieder wird er wohl, wie einst Heuss, nicht auf die Uhr schauen. Er und seine charmante Lebensgefährtin Daniela Schadt gelten als fröhliche und ausdauernde Ball-Gäste.

Vom Bundeshaus zum Adlon, von Heuss zu Gauck, von Bonn nach Berlin, vom Smoking zum Frack (und zurück), vom Walzer zu Hip Hop – in 65 Jahren Bundespresseball spiegeln sich Kontinuität und Wandel, Nüchternheit und Glanz, Tiefen und Höhen unserer Gesellschaft. Vier Mal musste sich der Ball äußeren Umständen unterwerfen: 1961 fiel er wegen des Mauerbaus und 1977 wegen der Ermordung Hanns Martin Schleyers ganz aus, 1963 wurde er wegen der Kennedy-Ermordung um zwei Monate verschoben. 2001 verzichtete der Ball wegen der Terroranschläge in New York auf die Tombola, als Solidaritätsgeste überwies er 275 000 Mark an die USA und an UNICEF („Bringt die Kinder durch den Winter“).

Bundeskanzler Willy Brandt werden beim Bundespresseball in der Beethovenhalle "Willys gesammelte Witze" präsentiert.

Bundeskanzler Willy Brandt werden beim Bundespresseball in der Beethovenhalle „Willys gesammelte Witze“ präsentiert.
(Bundesregierung/Lothar Schaack 1970)

Auch wenn der Bundespresseball nun das Renteneintrittsalter erreicht und vereinzelt graue Wolken aufziehen – etwa die schwieriger gewordene Sponsorenlage – zur Ruhe setzen oder gar aufgeben kommt für die Ball-Macher nicht in Frage. Seit Wochen brüten sie über Programm und Musik und eine ganze Mannschaft spitzt wieder die Pfeile des „Almanach“, die die Großkopferten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und den Medien fürchten oder lieben, je nachdem, ob sie selbst getroffen werden oder aber der Parteifreund dran glauben muss.

Dies war schon in den Anfangsjahren des Presseballs so. Sehen und gesehen werden, aber auch spotten und lästern und natürlich die Frage: „Wer kann mit wem?“ gehören zum Ball wie früher die Tombola und heute die mitternächtliche Currywurst. Gesellschaftlicher Glanz – ja, Unterwürfigkeit bei einem Presseball – nein, so hieß und heißt die Devise. Einige Gäste liefen denn auch zeitweise herum, als hätten sie eine Zitrone statt eine Auster geschluckt.

Vielleicht ist das ja auch der Grund, dass Angela Merkel sich konsequent dem Ball verweigert, obwohl sie ja souverän im Nehmen ist. Fast alle waren sie da, die Kanzler der Republik von Ludwig Erhard bis Gerhard Schröder, nur die aktuelle Kanzlerin zieht konsequent Wagner in Bayreuth vor.

Franz-Josef Strauß, Bundesminister der Verteidigung und seine Frau Marianne tanzen beim Bundespresseball in der Beethovenhalle (Bundesregierung/Steiner 1959).

Franz-Josef Strauß, Bundesminister der Verteidigung und seine Frau Marianne tanzen beim Bundespresseball in der Beethovenhalle (Bundesregierung/Egon Steiner 1959).

Ganz anders die Bundespräsidenten. Für sie ist der Eröffnungstanz zum Bundespresseball zwar nicht ins Grundgesetz geschrieben, aber längst bewährte Tradition. Einigen trieb der Pflichttanz mit der Frau des Gastgebers – die Gattin des Vorsitzenden der Bundespressekonferenz – sichtbare Schweißperlen auf die Stirn, zumal nicht nur die bunten Blätter sondern die halbe Republik per Fernsehen jede Schrittfolge mitverfolgen. Manche nahmen vor dem Ball deshalb heimlich Tanzstunden. Andere wie Walter Scheel, Richard von Weizsäcker, Horst Köhler und nun auch Joachim Gauck segelten entspannt und elegant über den Tanzboden. Johannes Rau bedankte sich einmal bei seiner Tanzpartnerin Tissy Bruns für das „betreute Tanzen“.

Zurück zu den Anfängen: Schon ein Jahr nach der Premiere im Bundeshaus wechselte der Ball ins 50 Kilometer von Bonn entfernte Kurhaus von Bad Neuenahr, das mehr Glanz und Gloria bot als der schnöde Parlamentsbau am Rhein. Weil anfangs eine Horde von „Autobahnbanditen“ die Gegend um Neuenahr unsicher machte, fuhren viele Gäste in Auto-Konvois und Polizeibegleitung zum Ball, der Vertreter des „Handelsblatt“ hatte auf dem Rücksitz seines VW eine französische Spezialflinte und 20 Schuss Munition versteckt.

Sieben Jahre, bis 1958, tanzte der Ball in Neuenahr, dann wechselte er in die wiederaufgebaute Beethovenhalle in Bonn. Kein Prachtbau, aber mit seinem Rundgang um den großen Ballsaal und den vielen Nischen und Ecken ein guter Platz zum politischen Austausch, der neben Tanz und Vergnügen zum Kern des Bundespresseballs gehört. Nicht nur Koalitionen, auch viele wichtige Personal-Entscheidungen sind hier ausgeheckt worden.

Bald bekam der jeweilige Ball einen Namen, von „Bonnaparte“ (1959) über „Bonnopoly (1989) bis „Bonn amour“ (1998). Apropos amour: Manchmal ging es offenbar so hoch her, dass Putzfrauen am Morgen danach weibliche Dessous-Teile in der Tiefgarage fanden…. Vier Jahrzehnte feierte der Ball erst in der Beethovenhalle, später im Hotel Maritim. Dann kam der Umzug nach Berlin. Die „Bläck fööss“ sangen zum Abschied „Mer losse d’r Dom en Kölle“. Da heulte nicht nur Norbert Blüm, fast alle Gäste hatten Tränen in den Augen.

Die versiegten rasch. Denn Berlin erwies sich als Glücksfall für den Bundespresseball. Der Ortswechsel vom beschaulichen Bonn in die wirbelige Metropole verscheuchte den Mief, der sich doch auch in den Bonner Jahren eingenistet hatte. Der langjährige Organisator Alfred Gertler, das blutjunge Creativteam KALUZA + SCHMID und der pfiffige Hotel-Direktor Willy Weiland vom „Interconti“ sorgten dafür, dass der Ball auf neue, professionelle Füße gestellt wurde. So durchzog frischer Wind das Luxushotel in der Budapester Straße, in das der Ball nun seine vieltausendfachen Gäste bat. Nicht nur die elegante Deko, auch die Ballroben der Damen zeigten Hauptstadt-Niveau. Hinzu kam, dass das unfeierliche Kramen in Geldbörsen durch das neue All-Inclusive-Konzept entfiel.

Schon nach zwei Jahren, beim 50. Jubiläum im Jahr 2001, vermeldeten viele Blätter in der wiedervereinigten Republik: „Der Bundespresseball ist zum gesellschaftlichen Ereignis in Berlin geworden.“ Ein Urteil, dem sich die Ballgäste kopfnickend anschlossen. Als Stargast Udo Jürgens bei seinem Gala-Auftritt wenig später seinen Hit anstimmte „Ich war noch niemals in New York“, schwelgten endgültig alle auf Wolke sieben. Berlin und der Bundespresseball hatten sich gefunden.

Nichts ist ewig. Und so muss nach 16 Berliner Jahren auch die Bundespressekonferenz, in der sich die rund 900 Hauptstadtjournalisten organisiert haben, neuen Herausforderungen stellen. Seit der so genannten Wulff-Affäre wittert eine sensibler gewordene Öffentlichkeit zu viel Nähe zwischen Politik, Medien, Wirtschaft und Kultur; argwöhnt, dass unter der Balldecke nicht nur gefeiert und kommuniziert, sondern auch gekuschelt und gekungelt. Da hält sich manche Spenderhand, ohne die kein großes Event existieren kann, mehr zurück als früher.

Also heißt es, mutig, offen und kreativ zu sein. Mit dem Umzug vom „Interconti“ in die historische Abflughalle des Tempelhofer Flughafens setzte der Bundespresseball dafür 2014 einen deutlichen Akzent. Dem rauen Charme des riesigen Gebäudes erlagen jedoch nicht alle Gäste. Es gab Kritik und die zu Recht, wie die Macher später erkannten.

Mit dem „Adlon“ am Brandenburger Tor hat der Ball nun eine Adresse an geschichtsträchtigem Ort gefunden, die nicht nur bei Publikum und Öffentlichkeit gut ankommt, sondern auch an eine alte Tradition anknüpft: Hierhin lud schon der Verein der Ausländischen Presse die Größen der Weimarer Republik zu Tanz und Ballgeflüster ein. „Einen besseren Ort für den Ball gibt es nicht“, schwärmten viele der 2 300 Gäste.

65 Jahre Presseball: Das ist viel Geschichte, aber auch viel pralles Leben. In Rente gehen kommt nicht in Frage. Schließlich war Konrad Adenauer 73, als er als Bundeskanzler anfing.


Von Dr. Sönke Petersen
Erschienen im GLANZ Magazin, August 2016

Danksagung
Der Bundespresseball dankt der Bundesbildstelle des Presse- und Informationsamtes für die zahlreichen Archivbilder, mit denen wir Sie auf eine Reise durch die Zeit mitnehmen dürfen!
Über den Autor
Sönke Petersen, promovierter Politologe, war von 1976 an mehr als 35 Jahre Mitglied der Bundespressekonferenz in Bonn und in Berlin, die meiste Zeit als Korrespondent der Münchner Abendzeitung. Später arbeitete er für „Blickpunkt Bundestag“ und das Bundestagsfernsehen.