Pressefreiheit

»Auch in Deutschland muss die Pressefreiheit verteidigt werden.«

Freier und unabhängiger Journalismus sei auch hierzulande kein Selbstläufer, sagt der renommierte Journalistik-Experte Horst Pöttker. Der emeritierte Professor für Theorie und Praxis des Journalismus spricht im Interview über Bedrohungen der Pressefreiheit, welche Ereignisse sie in der Vergangenheit gestärkt haben und warum sie nicht schrankenlos ist.

 

Herr Pöttker, haben es Journalistinnen und Journalisten heute schwerer als noch vor 20 Jahren?

Damals hat der digitale Medienumbruch die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten noch nicht so stark beeinflusst wie heute. Zwar hat die Digitalisierung mehr Informationsfreiheit allgemein geschaffen, aber die Freiheit der professionellen, geprüften und rechtlich wie ethisch verantworteten Information – das versteht man ja unter Pressefreiheit – ist dadurch bedroht worden.

Inwiefern?

Die klassische ökonomische Grundlage für Zeitungen, auch digitale, ist stark geschrumpft: die Anzeigeneinnahmen. Das hat die journalistische Arbeit härter gemacht, weil mit weniger Geld und Personal heute mehr geleistet werden muss. Auch deswegen fallen manche Themen unter den Tisch, was eine Einschränkung von Pressefreiheit bedeutet. Andererseits wird sie dadurch gestärkt, dass zum Beispiel Stadtteilzeitungen mit geringem finanziellen Aufwand nun im Netz Präsenzen aufbauen können.

Das sorgt aber auch für eine Zunahme von Blogs, die Fake News verbreiten oder Fakten verdrehen.

Ja, deswegen muss man ergänzen: Für das Publikum ist es viel schwieriger geworden, geprüfte und professionell verantwortete Informationen von irgendwelchen anderen Mitteilungen zu unterscheiden. Oft wird vergessen: Pressefreiheit ist nicht nur ein Recht von Verlegern und Journalisten, sondern auch das Recht des Publikums, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, wie es im Grundgesetz heißt. Das setzt erkennbare Medienvielfalt und -qualität voraus.

Der Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die Kommunikationsfreiheit für alle.

Ja, Pressefreiheit als Grundrecht existiert in der Bundesrepublik Deutschland ohne Unterbrechungen seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949. Sie ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, damit die allgemeine Zugänglichkeit von Informationen hergestellt werden kann, die wir brauchen, um unser Leben zu gestalten und damit die Gesellschaft Probleme erkennen und bestenfalls lösen kann. Allerdings ist die Pressefreiheit nicht schrankenlos.

Welche Schranken gibt es?

Aus dem Grundgesetz gehen drei Schranken hervor: die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, der Jugendschutz und das Recht der persönlichen Ehre. Ich nehme eine vierte dazu: die Pflicht zur Richtigkeit. Informationen, die von Journalisten verbreitet werden, müssen zutreffen. Sonst drohen zivilrechtliche Konsequenzen, Wiederholungsverbot, Schadenersatz und so weiter.

Inwieweit ist die Pressefreiheit in der deutschen Gesellschaft verankert?

Im Vergleich zu den angelsächsischen oder skandinavischen Ländern gibt es sie in Deutschland noch nicht sehr lange. In Westdeutschland eben seit 1949 und im Osten erst seit 1990 – eine historisch betrachtet ziemlich kurze Zeit. Unter anderem deswegen ist die Pressefreiheit bei uns kulturell noch nicht so tief verwurzelt wie in den alten westlichen Demokratien. Auch der Journalistenberuf genießt in Deutschland keinen allzu großen Respekt. Das sieht man zum Beispiel bei Demonstrationen, auf denen es seit einiger Zeit zu gewaltsamen Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten kommt.

Schauen wir zurück: Welche historischen Entwicklungen haben Pressefreiheit in Deutschland gefördert?

Mit der Industrialisierung ist die Gesellschaft immer parzellierter, komplexer geworden. Ab einem gewissen Grad an Komplexität ist die Sphäre der allgemeinen Zugänglichkeit von Informationen, die wir Öffentlichkeit nennen, notwendig geworden – und sie setzt eben Pressefreiheit voraus. Wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist auf die Zugänglichkeit und den freien Austausch von Informationen angewiesen. Bismarck hat das in gewisser Weise eingesehen. Im Reichspressegesetz von 1874 wurde ein gewisses Maß an Pressefreiheit eingeräumt.

Dieses Gesetz wurde durch das Sozialistengesetz aber wieder einkassiert. Wie ging es später weiter?

In der Weimarer Republik gab es laut Verfassung zwar Kommunikationsfreiheit, aber es kam auch zu zahlreichen Zeitungsverboten, weil die Pressefreiheit durch Verordnungen eingeschränkt werden konnte.

In der NS-Zeit waren die Medien »gleichgeschaltet«, nicht staatskonforme Journalisten wurden verfolgt. Wie funktionierten die Medien in dieser Zeit?

Propagandaminister Goebbels hat den Journalisten durch Presseanweisungen kontinuierlich vorgeschrieben, was sie zu berichten hatten und was nicht. Das war ein Propagandaarm der Nazis. Die Presseanweisungen konnten auch wirksam werden, weil die Journalisten es noch aus der Weimarer Zeit gewöhnt waren, sich als Teil der Politik zu sehen. Das nennen wir Gesinnungsjournalismus. Die deutsche Presse war in den 1920er-Jahren mit einigen Ausnahmen nach Parteinähe organisiert, nach 1933 war es dann eben nur noch eine Partei. Hinzu kommt natürlich, dass regimekritische Journalistinnen und Journalisten in der NS-Zeit verfolgt wurden. Viele waren aber auf Linie der Nationalsozialisten.

In anderen Ländern waren Revolutionen für die Pressefreiheit entscheidend. Ist sie dann robuster?

Ja, die Pressefreiheit ist beständiger, wenn sie aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Obgleich auch das keine Garantie ist, wie zum Beispiel der Terror in Fortsetzung der Französischen Revolution zeigt. Deutschland ist in dieser Hinsicht aber ein Sonderfall.

Wieso?

Die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848 ist nach sehr kurzer Zeit gescheitert. Pressefreiheit wurde in der deutschen Geschichte oft von oben verordnet. Eine Ausnahme war die DDR, die durch die friedliche Revolution der Bevölkerung gefallen ist, weil die Menschen für Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit kämpften. Mit Erfolg.

In der DDR gab es offiziell keine Pressezensur. Die Realität sah anders aus. Warum ist es diktatorischen Staaten so wichtig, den Anschein einer freien Presse zu erwecken?

Die Pressefreiheit stand in der Verfassung der DDR, aber es gab trotzdem Presseanweisungen und Medienkonzentration. Die Presselandschaft bestand vor allem aus Bezirkszeitungen der SED mit hohen Auflagen. Die schlimmsten Diktaturen täuschen Pressefreiheit und Gewaltenteilung vor. Sogar deren Machthabern scheint klar zu sein, dass global gesehen die Werte von Demokratie und Meinungsfreiheit den Menschen wichtig sind. Wohl deshalb legen Diktaturen sich dieses Mäntelchen um.

Wie wirken NS-Zeit und DDR mit Blick auf Pressefreiheit bis heute nach?

Im NS-Regime und auch in der DDR hatten Journalistinnen und Journalisten die Aufgabe von Volkserziehern. Dabei sind sie doch einzig und allein dazu da, die Welt einschließlich ihrer negativen und bedrohlichen Aspekte durch umfassende, zutreffende und verständliche Information transparent zu machen. Jemand, der pädagogisch denkt, unterlässt auch mal Informationen, weil sie Leuten schaden könnten. So dürfen Journalisten aber nicht denken. Diese Vorstellung ist in Deutschland jedoch bis heute noch verbreitet.

In Westdeutschland gibt es seit mehr als 70 Jahren zwar Meinungsfreiheit, gleichzeitig wurde die Pressefreiheit bedroht: etwa 1962 durch die »Spiegel«-Affäre.

Das war eine spektakuläre Aktion, ich kann mich noch daran erinnern. Ich ging damals in Hamburg, wo sich das abspielte, zur Schule. Der Herausgeber Augstein und etliche Redakteure kamen in Untersuchungshaft, nachdem in einer Titelgeschichte des »Spiegel« kritisch über die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik berichtet worden war. Die Redaktionsräume wurden von der Polizei besetzt. Andere Medien solidarisierten sich, junge Menschen gingen für die Pressefreiheit auf die Straße.

Die Affäre löste eine Regierungskrise aus, Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß musste zurücktreten. War es für Strauß überraschend, dass die Pressefreiheit in Deutschland doch so einen hohen Stellenwert hatte?

Teile der Bevölkerung und der Regierung hatten damals noch ein anderes Verständnis vom Verhältnis zwischen Staat und Medien, so auch Strauß und auch Konrad Adenauer. Deutschland war da noch in einer ziemlich autoritären Phase. Vor allem die junge Generation wollte aber den auffälligen Eingriff in die Pressefreiheit nicht durchgehen lassen. Seit Gründung der Bundesrepublik haben wir trotz oder wohl besser nicht zuletzt wegen der »Spiegel«-Affäre eine gute Entwicklung gemacht.

Sie sprechen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes an.

1966, nach der »Spiegel«-Affäre, hat das höchste deutsche Gericht die Pressefreiheit gestärkt, indem es erklärte, dass sie für das allgemeine Wohl fundamental ist. Karlsruhe wies sogar darauf hin, dass das Aufdecken wesentlicher Schwächen der Verteidigungsbereitschaft trotz der damit verbundenen militärischen Nachteile wichtiger sein kann als die Geheimhaltung. Das ist das wichtigste Urteil in der Bundesrepublik zur Stärkung der Pressefreiheit.

Welche Ereignisse haben die Pressefreiheit noch gestärkt?

Die Gründung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist essenziell für die Medienvielfalt in Deutschland. 1956 haben Verleger und Journalistenverbände den Deutschen Presserat gegründet, um staatlicher Kontrolle zuvorzukommen. Danach durchkreuzte Karlsruhe 1961 mit dem Fernsehurteil die Pläne der Adenauer-Regierung, ein De-facto-Staatsfernsehen einzuführen. Das unterstreicht, dass Medienpluralität zentral für die Informationsfreiheit ist. Ich würde noch ein weiteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts anführen.

Welches?

Das »Cicero«-Urteil von 2007: Der damalige Innenminister Otto Schily hatte mit Billigung eines unteren Gerichts die Büroräume der »Cicero«-Redaktion durchsuchen lassen, nachdem das Magazin einen Artikel mit Zitaten aus einem geheimen BKA-Bericht veröffentlicht hatte. Das Verfassungsgericht stellte aber fest, dass der Staat Redaktionen bei begangenem Geheimnisverrat nicht durchsuchen darf, um undichte Stellen in Ämtern und Behörden zu finden. Das war wegweisend.

Dennoch nimmt die Pressefreiheit laut dem Ranking von »Reporter ohne Grenzen« hierzulande ab. Wie erklären Sie sich das?

Die Organisation nennt neben Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten auch Gesetze, die die Recherche einschränken. Der Schutz von Whistleblowern selbst ist noch unzureichend. Problematisch ist auch der Tendenzschutz, der die innere Pressefreiheit von Journalisten gegenüber Medieneigentümern einschränkt. Außerdem sind die Informationsfreiheitsgesetze in Deutschland zu vage. Es gibt noch Bundesländer, die keines haben. Und die abnehmende Medienvielfalt ist nach wie vor ein Faktor. All das zeigt, dass die Pressefreiheit auch in Deutschland verteidigt und weiterentwickelt werden muss. Sie ist kein Selbstläufer.


Das Gespräch führte Alisha Mendgen.
(Erschienen im Magazin GLANZ zum 70. Bundespresseball, Dezember 2022)

 

ÜBER DIE AUTORIN
Alisha Mendgen (26) ist Korrespondentin im Hauptstadtbüro des Redaktions-Netzwerks Deutschland (RND). Sie berichtet unter anderem über Umwelt- und Verkehrspolitik sowie über die Union. Die Hamburgerin volontierte beim RND in Hannover. Davor studierte sie Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.
ÜBER HORST PÖTTKER
Prof. Dr. phil.-hist. Horst Pöttker wurde 1944 in Bad Segeberg geboren. Der Sozialwissenschaftler hat 1978 an der Universität Basel promoviert, 1995 habilitierte er an der Universität Siegen im Fach Soziologie. Er lehrte unter anderem von 1995 bis 2013 Theorie und Praxis des Journalismus an der Universität Dortmund. Pöttker ist Mitglied im Beirat des Netzwerks für Osteuropa-Berichterstattung und im Rat für Migration. 2018 gründete er mit vier Kolleginnen und Kollegen die Fachzeitschrift »Journalistik« für Journalismusforschung, die drei Mal im Jahr erscheint.