Große Sachlichkeit und Analyse
Das Bewusstsein für zwei unterschiedliche deutsche Geschichten haben Nadine Lindner ihr ganzes Leben begleitet. Schon vor dem Journalismus. Aufgewachsen in einer kleinen osthessischen Gemeinde, waren die innerdeutsche Grenze, später der Transformationsprozess in den ostdeutschen Bundesländern ganz nah. Und die Fragen, die sie immer wieder beschäftigen: „Wie gehen die Menschen damit um, wie bewegt sie das, wie verschärft das das Leben, welche Chancen gibt es“, so die 43-Jährige.
Nadine Lindner macht Radio beim Deutschlandfunk. Für den DLF berichtet sie vor allem über die AfD und ihr Erstarken. Nach dem Studium in Leipzig zog es sie – nach einem Stopp in Köln – erst nach Dresden und dann nach Berlin. Beim Aufstieg der islamfeindlichen Bewegung Pegida und in Teilen der Wählerschaft der AfD erlebt sie Menschen, denen es um „ein Anti-Eliten Gefühl geht. Entweder erlebt oder gefühlt erlebt. Verbunden mit Misstrauen und Rachegefühlen, gegenüber denen, die für die eigene Situation verantwortlich sein sollen.“
Nadine Lindners Berichte zeichnen eine große Sachlichkeit und Analyse aus. Zu verletzen, ist ihr fremd: „Was mir wichtig ist, ist nicht mit der schärfsten Begriffskeule draufzuhauen und die Menschen in Gruppen zu verpacken, ohne gleichzeitig die Inhalte und die Strategie der Partei zu vernachlässigen.“ Nüchtern und doch tiefgründig, das prägt ihre Analyse. „Ich lehne die Aktivistenrolle im Journalismus grundsätzlich ab. Ich sehe mich in der Position der Beobachterin und der Berichterstatterin“, so die DLF-Journalistin. Viele Berichterstatter über die AfD erzählen von einer schwierigen, gar feindseligen Stimmung gegenüber Journalisten etwa auf den Parteitagen der AfD. Die Ablehnung bläst einem nahezu ins Gesicht, so Lindner: „Der Ton der gegenüber Journalisten angeschlagen wird, ist oft unangemessen. Das ist ein anderer Ton, als bei anderen Parteien. Wir zählen zu den Gruppen, die markiert werden, zu den Feindbildern. Immer wieder gibt es Versuche, Journalisten von Parteitag auszuschließen. Unsere Glaubwürdigkeit soll untergraben werden.“
Lindner arbeitet gern für den Deutschlandfunk. Vor allem auch, weil es Zeit für Reflexion gibt. Einen redaktionsinternen Diskurs zur eigenen Arbeit und Haltung: „Nicht um die Schlagzeilen kämpfen zu müssen, kommt mir entgegen. Und, dass wir mit unseren langen Formaten breiter und differenzierter berichten können, finde ich gut. Im Politikpodcast können wir zudem mit unterschiedlichen Haltungen die Binnenpluralität im Hauptstadtstudio bzw. Sender zeigen“, beschreibt sie ihr Verhältnis zum eigenen Arbeitgeber.
Lindners Arbeit gehört zur fundiertesten und gründlichsten, die man derzeit in Berlin lesen und hören kann, und ist dennoch so unaufgeregt. Dafür zeichnet sie die Bundespressekonferenz 2024 aus.
*Transparenzhinweis:
Nadine Lindners Studioleiter Stephan Detjen ist Mitglied des Vorstandes der Bundespressekonferenz. An der Auswahl und Auszeichnung des Preises der Bundespressekonferenz 2024 war er nicht beteiligt.
Foto: Deutschlandradio / Anja Schäfer